Im Angesicht der großen ökologischen Krisen vom Artensterben bis zum Klimawandel ist die Selbstpositionierung des Menschen gegenüber seiner Umwelt in Bewegung gekommen. Relationale Weltauffassungen wie der kritische Posthumanismus, der die bislang dominierende anthropozentrische Sicht auf die Welt in Frage stellt, gewinnen zunehmend an Bedeutung.
Wie werden jedoch diese alternativen Naturverhältnisse entworfen? Welche sozialen, ökonomischen, umweltethischen und bildungstheoretischen Veränderungen bringen sie mit sich? Die Vortragsreihe erkundet die zurzeit entstehenden alternativen Sichtweisen auf Mensch-Umwelt-Verhältnisse im Posthumanismus und ihre sozialen, ökologischen und ethischen Konsequenzen.
Die Reihe wird von Prof. Dr. Christian Steiner, Dr. Verena Schröder und Lukas Adolphi organisiert.
Studierende können sich in KU.Campus für die Lehrveranstaltung eintragen:
Jede Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Forschungsthema basiert auf grundlegenden Vorstellungen über die Welt (Kosmologie); gleichzeitig sagt sie etwas aus über die Zielsetzung – den Horizont – der Forscherin oder des Forschers, der sich aus persönlichen und idealisierten sozialen Vorstellungen formiert. Kosmologie und Horizont wirken im Stillen, bleiben implizit, vorbewusst oder ganz unbewusst. Sie bilden Fundament und Gerüst unserer Gewissheiten, jener Aspekte, von denen aus wir unhinterfragt denken, handeln – und forschen. Dass diese Gewissheiten als unhinterfragbar gelten, zeigt sich beispielsweise an dem reflexhaft auftauchenden Ärger, wagt jemand dennoch danach zu fragen.
Der Vortrag richtet den Blick auf die Kosmologie(n) und Horizonte der Rahmung der Forschung als „Posthumanismus“ (verstanden als Folge der Diagnose des Weltzustandes als „Anthropozän“) und lädt ein, die eigene Kosmologie und den persönlichen Horizont zu erkunden.
Prof. Dr. Heike Egner, freie Geographin, Autorin und Mediatorin
Es ist ein Kennzeichen von Epochenumbrüchen, dass bisherige Einstellungen und Gewohnheiten Unbehagen bereiten. In diesem Sinn beruht die Zeitdiagnose des Anthropozäns unter anderem auf der Erfahrung, dass das moderne, anthropozentrisch-aggressive Weltverhältnis nicht mehr passt. Wir spüren: Statt sich von natürlichen, materiellen und sozialen Bindungen zu emanzipieren, muss von den gegenseitigen Abhängigkeiten und dem Ko-Habitat von Mensch und Nicht-Mensch ausgegangen werden. Der damit verknüpfte Paradigmenwechsel wäre tiefgreifend. Er ist nicht möglich ohne einen Wandel unserer Repräsentationen, Lebensformen und Praktiken. In dem Vortrag wird die Emanzipation aus hegemonialen Deutungs- und Handlungsmustern als ein schmerzhafter, dem Trauern vergleichbarer Prozess des Aufhörens gedeutet. Ziel der Überlegungen ist es, wünschenswerte Lern- und Transformationsprozesse nicht nur von ihrer innovativen und anregenden Seite her zu betrachten, sondern als responsives Auf- und Durcharbeiten von Krisen und Konflikten. Der Trauer angesichts unwiederbringlicher Verluste in der Biodiversität wird die nicht zu unterschätzende Erleichterung gegenübergestellt, dass wir endlich aufhören können, so zu tun, als sei das alles normal: das Schlachten, das Auf-Wachstum-Pochen und das blindwütig Kollabieren-Lassen. Allgemein wollen die Überlegungen einen Beitrag zum Dialog zwischen Transformationswissenschaft, Phänomenologie und kritischer Theorie leisten.
Prof. Dr. Martin Schneider, Professur für Moraltheologie und Sozialethik, KU Eichstätt-Ingolstadt
Anthropozentrisch ist die normative Vorstellung, dass in Moral, Recht und Politik nur Menschen um ihrer selbst willen zählen. Tierethische Theorien fordern diese Vorstellung in allen drei Hinsichten heraus. Gegenstand des Vortrags ist eine politische Philosophie der Tierrechte. Gezeigt werden soll, dass wir Tieren, deren Lebensbedingungen wir tiefgreifend und umfassend kontrollieren, Mitgliedschaftsrechte schulden. Wir dürfen sie allerdings nicht vermenschlichen. Die letzte Verantwortung für gerecht geregelte Mensch-Tier-Beziehungen tragen weiterhin wir.
Prof. Dr. Bernd Ladwig, Professor für politische Theorie und Philosophie, FU Berlin
Prof. Dr. Ina Dietzsch, geschäftsführende Direktorin am Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Universität Marburg.
Das Anthropozän steht für die Botschaft, dass der Mensch die Erde so gravierend verändert hat, dass sie als vom Menschen gemacht angesehen und folglich auch so benannt werden muss. Da die Erde jedoch nicht nur von, sondern auch für ihn gestaltet und umgewandelt wurde und wird, droht alles andere Lebendige auf der Strecke zu bleiben, was zunehmend auch sein eigenes Überleben gefährdet. Wir bewegen uns deshalb eher im Zeitalter des Lebendigen und dessen zunehmenden Gefährdung, weshalb ich vorgeschlagen habe, es Vitalozän zu nennen. Im Vortrag soll die spezifische Rolle des Menschen in diesem Vitalozän analysiert werden. Denn bei den Diagnosen über die von Menschen in Gang gesetzten Verwandlungen der Erde gerät allzu leicht in Vergessenheit, dass dabei auch der Mensch nicht derselbe geblieben ist. Die Frage lautet deshalb konkret: Wenn der Mensch als homo sapiens im Holozän erschien, mit welchem Menschen haben wir es dann gegenwärtig zu tun?
Prof. Dr. Markus Schroer, Professur für allgemeine Soziologie , Universität Marburg
Foucault famously argued that there exists a tension between humanism and the Enlightenment project. Whereas humanism is understood as the philosophical
attempt to define the essence of the human being, the Enlightenment project continuously seeks to transgress the boundaries of the human. If we agree with
Foucault, then posthumanism is inscribed within this project of Enlightenment. But what is the relation between posthumanism and plant studies?
The presentation discusses the way in which the recent “plant turn” in science and philosophy has further challenged our understanding of what it means to be
human. It asks what plant studies has brought to current posthumanist debates and how it has perhaps reoriented these debates.
Prof. Dr. Vanessa Lemm is Deputy Vice-Chancellor and Provost at University of Greenwich, United Kingdom
This paper describes the methods and findings of the ESRC funded Good Germs, Bad Germs: Mapping microbial life in the kitchen, which worked with a local community in Oxford, UK using emerging next generation sequencing technologies to ask questions about microbial diversity and abundance in their homes. The project had two key aims: (i) to explore human-microbe relations in the domestic kitchen; and (ii) to make scientific techniques for visualising the domestic microbiome available to non-expert publics through a form of ‘participatory metagenomics’.
Our findings pointed to tensions between new themes and ideas that resonate with the ideas of a more ecological, posthumanist approach to understanding human-microbe relations (such as the hygiene hypothesis or the idea a certain amount of microbial exposure is beneficial for health), and the legacies of public health promotion messages that effectively position microbes as an externalised threat to be eliminated.
We conclude there is scope for further research examining how scientific knowledge and techniques are enrolled into lay practices of making microbes sensible; how these intersect with, reinforce or disrupt previous feelings for microorganisms; and how generating new ways of relating with microbial others offers opportunities for intervening into the ways in which publics respond to perceived microbial opportunities and threats. The project also highlighted the benefits of participatory approaches to research on issues of health and bioscience.
Professor Beth Greenhough, Professor of Human Geography, Fellow of Keble College, Oxford
For those who acknowledge the predicament of the earth, there seem to be two options: going back to a harmonious past, or doubling down on an engineered future. In what terms we discuss these options – as realistic or idealistic, as technological or traditional, as corporate or anti-capitalist – each produces a particular ‘we’ that is supposed to decide between them. But what if there’s more possibilities? Could there be some kind of radical middle ground between high-tech and embodied knowledge, between anthropocentrism and ecocentrism, between modernity and posthumanism? Are these then uneasy blends of extracting and caring, control and letting go? This talk moves across historical and contemporary moments in which we have always been posthuman, at least potentially so, to see if we can graft posthuman futures onto modernist landscapes.
Prof. Dr. Clemens Driessen is assistant Professor for Cultural Geography at Wageningen University, Netherlands.
Anthropozentrische Naturethiken, die den Menschen als einzigen Referenzpunkt normativer Begründungen bestimmen und alle Werte von Natur als relativ zu menschlichen Sinnsystemen und Interessen begreifen, werden zunehmend kritisiert. Moderate Kritikformen fordern, ergänzend physiozentrische Werte von Natur anzuerkennen. Radikale Kritikformen fordern, die Behauptung einer Sonderstellung des Menschen zu verwerfen und die begriffliche Unterscheidung zwischen Natur und Kultur – die auch angesichts der menschlichen Veränderungen der Erde im Anthropozän hinfällig sei – zu überwinden. Nur so ließen sich die gegenwärtigen Umweltproblem lösen. In meinem Vortrag analysiere ich, was die Unterscheidung von „Natur“ (oder auch „Wildnis“) und „Kultur“ – je nach Interpretation dieser Begriffspaare – bedeutet. Auf dieser Basis diskutiere ich, inwiefern diese Unterscheidung als hinfällig angesehen werden kann und was andererseits dafür spricht, an ihr festzuhalten. Meine Überlegungen münden in den Vorschlag, die Lösung der Umweltkrisen nicht in einem andersartigen Mensch-Natur-Verhältnis, sondern in einem andersartigen Mensch-Mensch-Verhältnis zu fundieren.
PD Dr. Thomas Kirchhoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft Heidelberg
Prof. Dr. Michael Hampe, Professor für Philosophie, Universität Zürich
The problem with the Moderns, Latour wrote, is that they do not know where they stand. To survive the Moderns, the new humanity of the post-Anthropocene, which he named the Terrestrials, needs to develop an understanding of and new relations with the territory which they inhabit and which makes their lives possible. Starting from this provocation, and drawing on my ongoing work on human-soil relation in the context of regeneration, I propose place as a guiding concept for finding our feet. My thought-in-progress talk invites discussion on strategies for developing locally actionable knowledge for place-based sustainability by: centering the challenge of inhabitation/habitability; understanding the historical as well as ecological/environmental conditions shaping habitability; developing transdisciplinary research tools; and embedding social and ecological (multispecies) justice.
Prof. Dr. Anna Krzywoszynska, Associate Professor of Transdisciplinary Human-Environment Relations at the University of Oulu, Finland
Wenn Gesellschaften vor existenziellen Herausforderungen stehen, wenn Entwicklungen aus dem Ruder zu laufen scheinen, ertönt fast reflexartig der Ruf nach mehr (politischer) Bildung. Unzählige Bekenntnisse werden abgelegt, Programme aufgelegt. Diese Krisenbewältigungslogik – Krise als Lerngelegenheit – war in den letzten 50 Jahren das vorherrschende Denkmotiv. Am Beginn des 3. Jahrtausends stellt sich ein gewisses Mismatch innerhalb dieser Krisen-Lern-Dramaturgie ein: Denn die gegenwärtigen Herausforderungen lassen sich immer weniger als lösbare Krisen beschreiben; sie gleichen eher einer Erschütterung des In-der-Welt-Seins – einem quake in being (Morton). Damit läuft die tradierte Aufklärungsgleichung, nach der das Vermitteln von mehr Wissen zu mehr subjektiver Autonomie und damit zu selbstbestimmter Handlungs- bzw. Krisenbewältigungskompetenz führt, ins Leere. Denn gerade der Fixpunkt einer subjektiven Autonomie löst sich nach langen Wurzelschmerzen offenbar zunehmend auf. Subjekte scheinen sehr viel mehr innerhalb eines In-der-Welt-Seins verwickelt zu sein als dass sie eine abgekapselte, humanistische, extraterrestrische Sonderstellung behaupten könnten. Die Grenzen zwischen Natur, Kultur, Technik und Humanem sind in Auflösung begriffen – ebenso die Idee, dass die Orientierung in der Welt von einer kognitiven Rechenmaschine namens Gehirn gesteuert wird. Damit ist die Frage nach neuen Selbst-Welt-Verhältnissen und daran unmittelbar anschließend nach neuen Bildungskonzepten aufgerufen. Der Vortrag gibt einen Überblick über die Diskussion (aus der Perspektive eines politischen Bildungsdenkens) und einen Ausblick auf den noch unfertigen Ansatz einer Radikalen Demokratiebildung am Un_Ort.
Dr. Werner Friedrichs, Didaktik der Politik & Gesellschaft, Universität Bamberg
Nachhaltigkeit erweitert gegenwärtig die Reihe etablierter Bildungsziele wie Mündigkeit, Ver-nunft oder Emanzipation und ist mit vergleichbarer Strahlkraft ausgestattet. Das implizierte Versprechen lautet: Über individuellen Wissens- und Kompetenzaufbau sind die sozial-ökolo-gischen Krisen des Anthropozäns zu lösen. Dieser Tenor durchzieht auch das derzeit vorherr-schenden Konzept der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), das seit einigen Jahren in weiten Teilen des Bildungsbereichs reüssiert.
Eben jene Bildungssemantik – so die These des Vortrags – täuscht allerdings über real exis-tierende Herrschaftsverhältnisse hinweg, anstatt sie in Angriff zu nehmen. Außerdem werden durch die Individualisierung von Verantwortung und die Pädagogisierung von Krisen sozial-ökologische Verwerfungen ent-politisiert. Vor diesem Hintergrund nimmt der Vortrag ausge-hend von feministischen und dekolonialen Theorieofferten Anstoß am impliziten euro-, andro- und anthropozentrischen Herrschaftsanspruch, der (nicht nur) dem Konzept von BNE zu-grunde liegt und lotet aus, welche Perspektiven für die Umweltbildung aus einem kritisch ge-fassten Posthumanismus zu gewinnen sein könnten. Dabei wird sich nicht zuletzt zeigen, dass auch eine kritische Befragung des derzeit zunehmend „im Trend“ liegenden Posthumanismus notwendig ist, um einen herrschaftskritischen Bildungsanspruch nicht preiszugeben.
Simone Müller, MA, Bildungsphilosophin, Universität Graz
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